Ein Gemälde, abstrakte Darstellung von zwei Personen.

Kunst und Metaphysik als Vermittler zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren: ein Ärgernis für die Philosophie?

Der von mir sehr geschätzte Maler, Kunsttheoretiker und Bauhauslehrer Paul Klee erklärte 1920, dass Kunst nicht das Sichtbare wiedergebe, sondern etwas sichtbar mache. Diese These läuft auf eine Zwei-Welten-Theorie hinaus. Neben, hinter oder über der sichtbaren Welt, der Welt der Phänomene, existiert angeblich eine zweite Welt, die nicht sichtbar ist. Diese nicht für jeden Menschen sichtbare Welt, das sei der Anspruch der Kunst, soll durch die Arbeit des Künstlers sichtbar gemacht werden.

Metaphysiker, die Hinterweltler

Friedrich Nietzsche, sprachmächtiger Spötter und Philosoph, hat sich über die Hinterweltler, die Metaphysiker, die hinter den Erscheinungen nach dem Wesen der Dinge und der Welt suchen, lustig gemacht[1]Friedrich Nietzsche: Werke in III Bänden (1966), Herausgeber Karl Schlechta, Münschen; Bd. I, zweiter Band : Menschliches, Allzumenschliches, S.747. „Der Historie verfallen. Die … Continue reading.

Dass es mit der Metaphysik in der Philosophie ein Ärgernis sei, das räumt auch Adorno ein. Zugleich entschärft er Nietzsches Kritik und gibt ihr zugleich eine andere Wendung. „Denn auf der einen Seite ist die Metaphysik das, um dessentwillen die Philosophie überhaupt existiert; also, wenn ich einmal die philosophische Phrase übernehmen soll(nur, um später vielleicht etwas anderes an die Stelle zu setzen), dann behandelt die Metaphysik ja jene letzten Dinge, um derentwillen die Menschen zu philosophieren überhaupt angefangen haben. Auf der anderen Seite aber geht es der Metaphysik so, dass man äußerst schwer nicht nur angeben kann, was eigentlich ihr Gegenstand sei; nicht nur in dem Sinn, dass die Existenz dieses Gegenstandes fragwürdig und selber das kardinale Problem der Metaphysik sei, sondern darüber hinaus auch, dass es schwer auch nur zu sagen ist, was Metaphysik, unabhängig von Sein oder Nichtsein ihres Gegenstandes, überhaupt sei. Heute wir Metaphysik in der gesamten nichtdeutschen Welt geradezu als Schimpfwort gebraucht, das gleichsinnig sein soll mit eitlem Spekulieren, mit bloßer Gedankenspinnerei und Gott weiß was für anderen intellektuellen Lastern.“[2]Theodor W. Adorno (1965), Metaphysik. Begriff und Problem; Frankfurt Main, S.9 ff.

Tatsächlich ist die Philosophie, die hier mit Metaphysik gleichgesetzt wird, rührend unzeitgemäß, ein merkwürdiges „Mischwesen“, nicht mehr Theologie, aber auch nicht Wissenschaft, und der moderne Wissenschaftsbetrieb, der sich methodisch am Vorbild der Naturwissenschaften orientiert, weiß nicht so recht, wie er mit diesem Wechselbalg umgehen soll:

Die Metaphysik ist auf der einen Seite nicht Religion, sie handelt nicht etwa von personalen göttlichen Wesen oder überhaupt einem schlechthin Transzendenten. Sie ist auf der anderen Seite aber auch nicht Wissenschaft, sondern was Nietzsche unter Parodie des amerikanischen Ausdrucks ‚backwood‘, Hinterwäldler, also Hinterweltler bezeichnet hat. Diese Weise des Denkens malt hinter der Welt eine zweite verborgene Welt sich aus oder konstruiert sie, würde Nietzsche sagen. Etwas feindselig und gereizt könnte man sagen, dass Metaphysik eben doch der Inbegriff des Denkens sei, der sich mit dem in der Erfahrung Gegebenen, Tatsächlichen nicht zufrieden gibt, für das vielmehr der Unterschied von Erscheinung und Wesen einen entscheidenden Akzent trägt.[3]Theodor W. Adorno (1974); Philosophische Terminologie; Bd. 2; Frankfurt Main; S.162.

Das Unsichtbare sichtbar machen

Unstrittig scheint mir, dass komplexe Zusammenhänge in Natur und Gesellschaft nicht unmittelbar in der bloßen Anschauung und der unvermittelten Erfahrung schon sichtbar, erkannt und verstanden werden, sondern geistige, analytische und synthetische Arbeit voraussetzen: das Intelligible ist das, was nur geistig erfassbar und nicht allein sinnlich, erfahrbar und erkennbar ist.

Kunstströmungen und Richtungen werden in der Kunstgeschichte mit mehr oder weniger passenden Namen versehen. Diese Namen sind wie Schublade. Sie erleichtern dem Publikum eine Zuordnung von Bildern und Künstlern erlauben. Ob Otto Dix etwa, der dem „Verismus“ oder der „Neuen Sachlichkeit“ zugeordnet wird, die „Wahrheit“ (veritas) in seinen Bildern zur Erscheinung bringt, soll hier nicht diskutiert werden. Aber in den Bildern von Dix, die schreiendes Elend, exzessive Vergnügungssucht und laszive Lebensgier thematisieren, werden Aspekte der politischen Kultur und des Alltags in der Weimarer Republik in ihren vielfältigen Facetten beleuchtet. Das verborgene in der Welt wird im Kunstwerk sichtbar, insofern enthält es ein Moment von Wahrheit. Kritische Kunst beleuchtet die prekären gesellschaftlichen Verhältnisse und steht in der Tradition der Aufklärung.

Ein Gemälde, Darstellung eins Raums mit leicht bekleideten Frauen
Unsere fragile Moderne: Der Salon (Jürgen, nach Dix)

Wenn der Künstler etwas zur Erscheinung bringt, was nicht unvermittelt wahrnehmbar ist, dann geht dem vollendeten Kunstwerk die genaue Beobachtung und Analyse von Natur und Gesellschaft voraus. Der Künstler erfasst die wesentlichen Merkmale der Zeit und des Zeitgeistes in einem begrenzten Ausschnitt, einem Schlüssellochblick in Bildern, Skulpturen und Texten zusammen. Sie sind Teile eines großen Mosaiks. Wenn wir die Teile dieses Mosaiks, die einzelnen Schlüssellochblicke, die begrenzten Ausschnitte passend zusammenstecken, dann wird daraus der Eindruck des Totalen, und wir kommen dem Zeitgeist auf die Spur.

Philosophie: Die Zeit in Gedanken gefasst

Philosophie sei, so umschreibt Hegel sie, ihre Zeit in Gedanken gefasst [4]Georg F.W. Hegel; Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse; in: Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Studienausgabe in drei Bänden. Ausgewählt, … Continue reading. Der Künstler ist Forscher und Philosoph. Seine Leistung besteht darin mittels der Darstellung des Spezifischen das Allgemeine sichtbar gemacht zu haben. Ich will am Ende dieses einleitenden Textes noch einmal auf das Ärgernis der Metaphysik, von dem man nur schwer angeben könne, welches überhaupt ihr Gegenstand sei, wie Adorno einleitend angemerkt hat, zurückkommen und zugleich einen Ausblick wagen. Dieser Text ist „work in progress“, und ich werde mich demnächst mit dem Frühwerk von Giorgio de Chirico auseinandersetzen. Chirico hat seine Bilder, die er etwa zwischen 1910 und 1920 gemalt hat, pittura metafisica (metaphysische Malerei) genannt. Chirico war offensichtlich ein Mensch, der sehr sensibel auf Stimmungen reagierte und diese Stimmungen in verstörende Bilder umsetzen konnte. Um diese Stimmungen, auch das ist Metaphysik, wird es dann gehen.

Titelbild: Hektor und Andromache (nach de Chirico) von Jürgen

References

References
1 Friedrich Nietzsche: Werke in III Bänden (1966), Herausgeber Karl Schlechta, Münschen; Bd. I, zweiter Band : Menschliches, Allzumenschliches, S.747. „Der Historie verfallen. Die Schleierphilosophen und Welt-Verdunkler, also alle Metaphysiker…“ Bd. II „Also sprach Zarathustra. Von den Hinterweltlern.“ S.297
2 Theodor W. Adorno (1965), Metaphysik. Begriff und Problem; Frankfurt Main, S.9 ff.
3 Theodor W. Adorno (1974); Philosophische Terminologie; Bd. 2; Frankfurt Main; S.162.
4 Georg F.W. Hegel; Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse; in: Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Studienausgabe in drei Bänden. Ausgewählt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Karl Löwith und Manfred Riedel (1968); Bd. II; Frankfurt Main; S. 40; „Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie ihre Zeit in Gedanken gefasst“.

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